Da ist etwas im Kopf zerbrochen

Was ist Demenz? Wie verhält sich jemand, der betroffen ist? Und wie sollten wir uns einem Menschen mit Demenz gegenüber verhalten? 'Unter uns', die Zeitschrift des Seniorenhauses 'Heilige 3 Könige' der Cellitinnen in Köln, befragte dazu Jochen Schmauck-Langer.


 

Unter uns: Wären Sie so nett, das Krankheitsbild „Demenz“ so zu umreißen, dass auch ein Laie es verstehen kann?

Schmauck-Langer: Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns. Dabei sterben immer mehr Gehirnzellen ab – über viele Jahre hin unbemerkt. Wenn nach Jahren ein bestimmtes Maß erreicht wird, tritt die Krankheit zutage, etwa durch ein nachlassendes Gedächtnis.

Unter uns: Was passiert mit einem Menschen, der an Demenz erkrankt? Wie verhält er sich?

Schmauck-Langer: Im Verlauf der Erkrankung werden die Einschränkungen immer größer und umfassender. Erinnerungen, Sprache, Motorik und die Persönlichkeitsstruktur können massiv betroffen sein. Ein Satz, den mir eine Frau mit Alzheimer-Demenz in einem hellsichtigen Moment sagte, war: „Ich möchte das werden, was ich einmal war…!“

Unter uns: Wieso scheint das Langzeitgedächtnis vielfach noch intakt zu sein, aber das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr?

Schmauck-Langer: Unser Gedächtnis hat drei Speicher: das Langzeit-, das Kurzzeit- und das sensorische Gedächtnis. Bei einem Spaziergang durch eine blühende Wiese etwa nehmen unsere Sinne Tausende von Eindrücken auf. Diese werden durch den Kurzzeitspeicher gefiltert. Er kann nur vier bis sechs Informationen auf einmal verarbeiten. Diese werden sodann an das Langzeitgedächtnis übertragen und dort abgespeichert. Wenn ich mich - z.B. durch ein Foto oder einen Blütenduft - an die Blumenwiese erinnere, richte ich über das Kurzzeitgedächtnis eine ‚Anfrage‘ an das Langzeitgedächtnis. Dieses gibt dann seine Erinnerungen frei. In vielen Fällen einer Demenz ist das Kurzzeitgedächtnis jedoch schon relativ früh und nachhaltig betroffen (die Autoschlüssel, die man nicht wiederfindet etc.). Dadurch können kaum noch neue Informationen gespeichert werden. Und alte Gedächtnisinhalte können nicht mehr oder nur eingeschränkt abgerufen werden. Das große Vergessen setzt ein. Eine Ausnahme bilden Erinnerungen, die mit starken Emotionen verbunden sind. Gefühle sind stärker verankert.

Unter uns: Angehörige erkennen manchmal ihre Mutter oder ihren Vater nicht wieder, weil sie sich anders verhalten, als sie es gewohnt sind. Wie kommt es zu diesen Persönlichkeitsveränderungen?

Schmauck-Langer: Durch die Krankheit werden bei nachlassenden Verstandesleistungen auch damit verbundene Regeln, Normen und Moralvorstellungen brüchig. Sich ‚gut‘ zu benehmen ist – ebenso wie viele andere Regeln - eine erlernte Fähigkeit. Wo diese Kontrollen durch die Demenz verloren gehen, zeigen sich Gefühle oft viel unmittelbarer. Angst, Wut, aber auch Freude treten ohne den Filter der Vernunft zutage. Diese Veränderungen machen den Erkrankten (und natürlich auch ihren Angehörigen) Angst. Da verändert sich etwas in einem, auf das man keinen Einfluss zu haben scheint. Wer aber Angst hat und ohne Orientierung ist, der reagiert oft in einer Weise, die für Außenstehende unverständlich und herausfordernd erscheint.

Unter uns: Monoton wiederkehrende Fragen, lautes Singen oder Rufen, ständiges Umherwandern – auch nachts, merkwürdige Essgewohnheiten. Es gibt viele Erscheinungsformen herausfordernden Verhaltens. Wie können wir damit umgehen?

Schmauck-Langer: Meine kleine Tochter wusste sich mit einem gebrochenen rechten Arm nicht anders zu helfen, als mit den Fingern der linken Hand zu essen. Das war eindeutig. Einem Menschen mit Demenz hingegen, der vergessen hat, wie man ‚korrekt‘ mit Messer und Gabel isst, sieht man von außen nicht an, was da im Kopf zerbrochen ist. Immerhin weiß er sich noch mit den Fingern zu helfen. Wir sollten Ressourcen, die noch da sind, stützen. Ein Mann, der in der Nacht umtriebig ist, war es vielleicht gewohnt zum Nachtdienst zu gehen... Und all diese wiederkehrenden Fragen, Töne und Bewegungen ins Blaue hinein - oft haben sie damit zu tun, dass sich da jemand verloren geht und nun versucht, sich noch einmal seiner selbst zu vergewissern. Menschen mit Demenz haben oft nicht mehr die Chance, den Schreibtisch ihres Lebens aufzuräumen. Wir – als ihre Wegbegleiter – können ihnen helfen, indem wir ihnen vor allem mit Respekt und Wertschätzung begegnen. Wir sollten uns um gemeinsame schöne Augenblicke bemühen. Gerade Kunst und Musik öffnen dabei oft Welten.

Die Fragen stellte Martina Schönenborn.

 

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