Jüdische Identität und Demenz – Rückblick auf ein gescheitertes Projekt von dementia+art beim „Sommerblut“ Festival 2012

[Rebecca Horn: Berlin Earthbound, 1992, VG Bild Kunst, Bonn / Kolumba Museum: In die Weite, 2021]

Im Jahr 2012 widmete das Kölner Sommerblut-Festival seinen thematischen Schwerpunkt der „kulturellen Teilhabe für Menschen mit Demenz“. Unter Federführung von dementia+art (M. B. + Jochen Schmauck-Langer) wurde ein umfangreiches Programm mit über 20 Veranstaltungen in verschiedenen Kunstsparten organisiert. Beide arbeiteten in dieser Zeit in einer stationären Senioreneinrichtung. Beide verfügten über jahrelange Erfahrungen in der Sozial-kulturellen Betreuung von Menschen mit Demenz und beide hatten einen kulturellen Hintergrund in den Bereichen Musik bzw. Kunst und Kultur.

Ziel war es, Wege aufzuzeigen und praktisch auszuprobieren, wie Menschen mit Demenz kulturell in verschiedene Kulturformate eingebunden werden können. Dabei sollten sie sich auf ihre Ressourcen fokussieren können. Das Leitmotiv war: Eine schöne Zeit erleben!

Es entstanden vielfältige Formate – von Musik und Theater bis zu Gesprächsrunden – die oft auch spezifische kultursensible Ansätze verfolgten. So sollten etwa religiös oder kulturell geprägte Lebenswelten bewusst einbezogen werden. (Einen Überblick über die Planung des damaligen Programms finden Sie: H i e r)

Konkret planten wir Veranstaltungen in einem islamischen Seniorenzentrum sowie im jüdischen Elternheim der Synagogen-Gemeinde Köln . Diese kultursensiblen Formate wollten der Frage nachgehen, wie Demenz in verschiedenen kulturellen Kontexten erlebt wird und welche Rolle vertraute Traditionen für Betroffene spielen.

Ein Rückblick mit offenem Ausgang

Mit einem geisteswissenschaftlichen Hintergrund war mir (JSL) auch damals klar, dass es nicht nur um Pflege oder Kulturvermittlung ging, sondern um Identität. Um Erinnerung. Um die Frage, was einen Menschen ausmacht, wenn das Gedächtnis nachlässt. Die Veranstaltung im jüdischen Elternheim in Köln war dabei erkennbar besonders sensibel – und genau deshalb wichtig.

Sie war als „nicht öffentlich“ geplant, sondern als geschütztes Gesprächsformat. Der Kontext des Festivals, der geplante Ablauf und das angestrebte Gesprächsformat waren mit der Leitung des Hauses abgesprochen. Die Leitfrage sollte sein: Was bleibt von einer weltanschaulichen Prägung, wenn das Gedächtnis sich zurückzieht? Aber das war natürlich nur die Metaebene. Konkret sollte es ein Versuch sein – zusammen mit den BetreuerInnen, über Alltag, Erinnerungen, religiöse Rituale… ins Gespräch zu kommen mit Bewohner*innen des Heims, mit und ohne Demenz, sowie ihren Begleitpersonen.

Die Gespräche sollten dokumentieren, ob und wie sich Identität – gerade in religiös-kulturellem Kontext – im Alter verändert. (An dieser Stelle sollte noch einmal erwähnt werden, dass mir – auch als Geisteswissenschaftler – die Kommunikation mit Menschen mit Demenz nicht fremd war.)

Kann man vergessen, Jude zu sein?

Dennoch wurde vorher die Begegnung ohne Begründung von der konservativen Gemeindeleitung abgesagt. Deutlich war: das Thema ist „vermintes Gelände“. Und das nicht nur historisch. Sondern auch zutiefst menschlich.

Zwischen Vergessen und Verankerung

Die Diagnose „Demenz“ stellt unsere Vorstellung von Identität infrage. Der englische Sozialpsychologe Tom Kitwood hat es als einen frontalen Angriff auf unsere Identität beschrieben: Menschen verlieren Erinnerungen, erkennen ihre Liebsten nicht wieder, vergessen Namen, Geschichten, Regeln, Kenntnisse. Aber: Verlieren sie damit auch ihre Überzeugungen, ihre Weltzugehörigkeit, ihren innersten Bezug zur Geschichte, zur Religion?

Was bleibt von einer jüdischen Identität, wenn das Wissen darum verblasst?

Die Erfahrung und die Gerontologie sagen uns: Es bleibt viel. Nur anders. Besonders früh verinnerlichte Erfahrungen – Lieder, Gesten, Rituale – sind oft emotional tief verankert und körperlich abrufbar, auch wenn das Bewusstsein nicht mehr alles benennen kann. Ich nenne in Schulungen gerne einen Begriff aus der Gedächtnisforschung: „Erinnerungshügel“. Eine Frau mit Demenz mag nicht mehr sagen können, was „Schabbat“ bedeutet. Aber beim Klang eines vertrauten Liedes, beim Anblick von Kerzen, beim Geschmack von traditionellem Gebäck lebt sie auf. Ein inneres Erkennen, ohne Worte.

Auch wenn das autobiografische Gedächtnis schwindet, zeigen viele Studien und Erfahrungen, dass weltanschauliche Haltungen – das, was uns geprägt hat – nicht einfach gelöscht werden. Sie sind verkörpert. Das bringt uns zu einem zentralen Begriff:

Embodiment: Wenn Weltanschauung im Körper weiterlebt

Der Begriff Embodiment (Verkörperung) beschreibt, dass Denken, Fühlen und Identität nicht allein im Kopf entstehen, sondern im Körper. In Bewegungen, Gewohnheiten, emotionalen Mustern. Das gilt auch für weltanschauliche Prägungen. Unsere ethischen Überzeugungen, unsere Zugehörigkeitsgefühle, unsere Orientierung in der Welt sind nicht nur Inhalte, die wir rational erinnern – sie sind Haltungen, die wir körperlich gespeichert haben.

Ein Mensch mit Demenz kann vielleicht nicht mehr erklären, warum er den Tisch besonders sorgfältig deckt – aber er tut es, versucht, es wie früher zu tun. Eine Geste ein Gebet, eine bestimmte Art, einen Raum zu betreten, ein leiser Reflex beim Klang der Muttersprache – das alles sind verkörperte Erinnerungen. (Anm.: Eine kluge, historisch bewusste und am Krankheitsbild Demenz geschulte Auswahl von Bildern und Objekten kann dies gezielt nutzen.) Gerade im Judentum – mit seinem reichen Schatz an Ritualen, Körpergebeten, Klängen, Gerüchen, Speisen – zeigt sich, wie tief diese Prägung geht – auch ohne explizites Wissen.

Eine Frage, die nicht neutral sein kann

Dass das geplante Format damals abgesagt wurde, war eine bittere, aber auch eine lehrreiche Erfahrung. Die Frage „Kann man vergessen, Jude zu sein?“ klingt radikal. In einem religiösen Kontext kann sie als respektlos empfunden werden. Denn in vielen Traditionen gilt: Man bleibt, wer man ist – auch unter Krankheit. Auch im Leiden. Und gerade im jüdischen Kontext – geprägt durch Shoah, Diaspora, Überlebensgeschichte – hat die Identität ein anderes Gewicht. Erinnerung ist hier nicht nur biografisch, sondern kollektiv.

Der Kern der Frage: Identitätsverlust durch Demenz? bedeutet übertragen auf die religiös-kulturelle Prägung, ob religiöse Identität ’nur‘ rein kognitiv oder tiefer im Menschen verankert ist. Der Festival-Entwurf wollte dieses Spannungsfeld ausloten.

Aus der gerontologischen und seelsorgerischen Praxis ist bekannt, dass Menschen mit Demenz zwar sehr viel vergessen, aber früh eingeprägte Rituale und Emotionen erstaunlich lang zugänglich bleiben. Insbesondere Musik, Gebete, Symbole und Routinen, die man seit Kindheitstagen kennt, können auch in mittleren bis späten Stadien der Demenz wiedererkannt werden. So berichten Pflegekräfte und Seelsorger, dass religiöse Lieder oder Gebete oft mitgesummt oder mitgesprochen werden, selbst wenn Betroffene den eigentlichen Kontext nicht mehr erklären können.

Viele jüdische Heimbewohner gehörten auch 2012 zur hochbetagten Generation (80+), die zu großen Teilen religiös-sozialisiert aufgewachsen ist. Das heißt, Gebete, Feiertage und Traditionen begleiteten sie oft von Kindesbeinen an. Die emotionale Ebene der Religiosität (Gefühle, Stimmungen, Zugehörigkeit) bleibt häufig erhalten, während die intellektuelle Ebene (Dogmen, Jahreszahlen, komplexe Konzepte) verblassen mag.

[Laubhütte aus Baisingen / Kolumba Museum: In die Weite, 2021]

Daraus folgt, dass ein Mensch mit Demenz zwar bestimmte Fakten „vergisst“, etwa Gebote oder historische Daten, nicht jedoch ohne weiteres seine Identität. Gerade religiöse Identität umfasst mehr als Wissensinhalte – sie verweist auf Gewohnheiten, emotionale Bindungen, Gemeinschaftsgefühl und Werte. Diese scheinen oft tief in der Person verankert. Beispielsweise vergessen manche Betroffene die Namen ihrer Kinder, summen aber noch Kirchenlieder oder sagen ein vertrautes Gebet auf.

Übertragen auf das Judentum wäre zu erwarten, dass viele jüdische Menschen mit Demenz unbewusst an gewissen Ritualen festhalten: Sie könnten etwa spontan „Shalom Aleichem“ zur Begrüßung anstimmen, beim Anblick von Kerzen an Schabbat erinnert werden, hebräische Segensworte mitsprechen oder die Bewegungen beim Gebet nachahmen, selbst wenn sie kognitiv nicht mehr erklären können, warum .

Dennoch gibt es auch gegenläufige Beobachtungen. Demenz kann tatsächlich so weit gehen, dass zentrale biografische Eckpfeiler verschwinden. Ein drastisches Beispiel ist der Fall eines Holocaust-Überlebenden mit Alzheimer, der nicht mehr wusste, dass 6 Millionen Juden im Holocaust ermordet wurden. Die eigenen Lebenserfahrungen, die früher Identität stifteten, können aus dem „Zugriff“ geraten. Angehörige empfinden dies oft als schmerzhaften Verlust. Im genannten Fall schildert der Sohn, wie er realisieren musste, dass sein Vater seine ganze Überlebensgeschichte und Traumata nicht mehr erinnert – ein tiefgreifender Identitätsbruch.

Zwar mag man einwenden, dass es vielleicht „gnädig“ sei, wenn ein Überlebender diese Erinnerungen vergisst, doch für den Sohn ist dieser ‚Segen‘ etwas anderes: er betont, sein Vater hätte niemals freiwillig die eigenen Erinnerungen – so schmerzhaft sie waren – hergeben wollen, da sie ein Teil von ihm sind. Das Vergessen solcher kollektiver Gedächtnisinhalte (wie der Shoah) wird hier als tragischer Verlust von Identität und Geschichte empfunden, nicht als Erleichterung.

Dieses Beispiel zeigt, dass Demenz selbst jene Erinnerungen auslöschen kann, die eine Person fundamental geprägt haben. Das Umfeld erlebt dies als Infragstellung jener Person, die man kannte. Völlig „vergessen“, wer man ist, im Sinne kulturell-religiöser Identität, tun die wenigsten Demenzbetroffenen. Genau in diesem Spannungsfeld – zwischen bleibender innerer Prägung und äußerlich sichtbarem Verlust – bewegt sich die Frage des Festival-Entwurfs.

Sensibilitäten: Warum das Thema „vermintes Gelände“ ist

Ein berühmtes Motto im Judentum lautet „Am Israel Chai“ (das Volk Israel lebt) – was impliziert, dass selbst über Generationen und trotz Verfolgung die Identität weitergetragen wird. Erinnerung spielt eine zentrale Rolle: Zahlreiche Gebote fordern aktiv zum Erinnern auf. Der kollektive Imperativ „Never forget“ in Bezug auf die Shoah gehört zum Selbstverständnis jüdischer Identität. Vor diesem Hintergrund mag die Frage „Kann man vergessen, Jude zu sein?“ provozierend wirken.

Ein möglicher Grund für die Ablehnung des Formats durch die Gemeinde ist, dass man Missverständnisse oder unerwünschte Interpretationen fürchtete: Etwa könnte der Eindruck entstehen, die Veranstaltung stelle infrage, ob das Jüdischsein bei Demenz überhaupt noch relevant sei – was als eine Herabwürdigung ausgelegt werden könnte.

Für eine konservative Gemeindeleitung mag die Vorstellung unangenehm gewesen sein, öffentlich zu diskutieren, ob ihre Schützlinge „ihr Judentum vergessen“ könnten. Die sehr weltliche Fragestellung des Festivals (die ja eher erkenntnistheoretisch war) kollidierte mit dem religiösen Verständnis der Gemeinde(Leitung), die ihre dementiell veränderten Bewohner weiterhin als vollwertige jüdische Persönlichkeiten ansieht, unabhängig vom Gedächtniszustand. Darüber öffentlich zu philosophieren, ob sie „es vergessen könnten“, konnte als pietätlos wahrgenommen werden…

Ein weiterer Aspekt ist die Privatsphäre und Würde der betreuten Senioren. Aus Sicht der Heimleitung und Gemeindevertreter steht an erster Stelle das Wohl der Bewohner. Ein Festival, das externe Personen – seien es Künstler, Journalisten oder Besucher – ins Heim bringt, um mit Demenzkranken über deren möglicherweise schwindende Identität zu reden, könnte als übergriffig aufgefasst werden.

Auch wenn das Format nicht öffentlich sein sollte, so war es doch Teil eines öffentlichen Kulturfestivals. Man kann vermuten, dass in der Gemeindeführung die Sorge bestand, dass Inhalte nach außen dringen oder medial aufgegriffen werden. Negative Schlagzeilen wollte man unbedingt vermeiden. Beispielsweise wäre es fatal, wenn irgendein Presseartikel den (missverständlichen) Titel trüge: „Festival in Köln: Demenz lässt Juden ihre Religion vergessen…?“ – Solche Darstellungen hätte die jüdische Gemeinde als unangemessen und rufschädigend empfunden. Die Absage „ohne Begründung“ war vermutlich ein Weg, um dem Risiko auszuweichen, ohne sich in Diskussionen verstricken zu müssen.

Zudem ist zu bedenken, dass die Synagogen-Gemeinde Köln tendenziell konservativ-traditionell ausgerichtet ist. Das Sommerblut-Festival hingegen ist bekannt dafür, gesellschaftliche Tabus, Diversität und inklusive Kunstformate zu bedienen. Diese Kulturen prallen hier aufeinander. Möglicherweise gab es seitens der Gemeinde generelle Vorbehalte gegenüber einer Kooperation: Man wollte das geschützte religiöse Haus (das Elternheim ist Teil des Wohlfahrtszentrums mit Synagoge, koscherer Küche etc.) nicht für ein externes Experiment öffnen, dessen Nutzen man nicht klar erkannte.

Oft bestehen in religiösen Einrichtungen Bedenken, dass „die Welt draußen“ ihre Schützlinge nicht versteht oder sogar deren Glauben relativiert. 2012 war das Thema „Kultur und Demenz“ noch neu, und die Gemeinde war womöglich schlicht nicht bereit, sich auf etwas so Ungewisses einzulassen.

Gründe für die Absage durch die Gemeindevertretung

Das Leitbild des Elternheims betont ausdrücklich, den Bewohnern „ein Leben in jüdischer Atmosphäre und Tradition zu ermöglichen (koscheres Essen, Schabbat, Feiertage, Gottesdienste)“, wobei die Biografie und Bedürfnisse des Einzelnen im Mittelpunkt stehen . Diese Haltung impliziert, dass man durch kontinuierliche religiöse Praxis das Identitätsgefühl erhalten will – und gerade nicht infrage stellen möchte, ob es noch da ist. Die Absage kann also auch als Statement gelesen werden: Unsere Bewohner vergessen ihr Jüdischsein nicht – wir leben es hier täglich, unabhängig von ihrer Demenz.

Reflexion: Bewertung des Entwurfs

Der Entwurf zeugte von dem Wunsch, Demenz nicht nur medizinisch-pflegerisch, sondern auch kulturell und identitär zu betrachten. Die Frage, wieviel von der kulturellen Identität im Angesicht von Demenz bestehen bleibt, ist wissenschaftlich wie menschlich relevant. Gerade weil die Bevölkerung immer älter wird und auch Menschen unterschiedlicher Religionen betroffen sind, gewinnt das Thema an Bedeutung.

Der geplante Dialog im jüdischen Heim hätte – idealerweise – Einblicke in die gelebte Erfahrung geben können: Vielleicht hätten einige Bewohner ohne Demenz erzählt, dass sie Angst davor haben, ihre Erinnerungen an die eigene Bar Mitzwa oder an hebräische Gebete zu verlieren. Vielleicht hätten Angehörige von Demenzkranken berichtet, dass ihre Mutter plötzlich wieder Jiddisch spricht oder ein altes Schabbatlied singt, obwohl sie ansonsten viel vergessen hat. Solche Geschichten können sehr berührend sein und aufzeigen, wie Demenz alte Schichten der Identität freilegt oder verdeckt. Für ein Kulturfestival, das Brücken zwischen Kunst, Gesellschaft und Krankheit schlagen will, wäre das ein wertvoller Inhalt gewesen.

Vielleicht wäre es klüger gewesen, das Format unter einem allgemeineren Titel anzukündigen, z.B. „Erinnerung und Identität im hohen Alter – Ein Gespräch im jüdischen Altenheim“. Innerhalb des Gesprächs hätte man das Thema immer noch behandeln können, ohne es nach außen so pointiert zu benennen. Man hätte auch eher den positiven Fokus betonen können: etwa „Was bleibt uns, wenn vieles vergessen ist? Über Musik, Religion und Heimatgefühle bei Demenz.“ Denn wie die Beispiele zeigen, bleibt ja oft etwas sehr Wertvolles – und genau das interessiert kulturgerontologisch.

Das Thema Demenz und Religion in Deutschland war noch nicht breit enttabuisiert (und ist bis heute teilweise heikel). Selbst 2012 – einige Jahre nach dem Start der „Demenzfreundliche Kommune“-Bewegung – war die Idee, Demenzkranke in ein Kulturfestival einzubeziehen, ungewöhnlich. In einem säkularen Rahmen über die Möglichkeit zu sprechen, dass ausgerechnet die Erinnerung ans eigene Judentum schwindet, war dann offenbar zu viel auf einmal. Hier spielten historische und emotionale Faktoren mit hinein, die außerhalb des reinen Demenzdiskurses liegen (insbesondere die deutsche Vergangenheit und der Stellenwert des Gedenkens).

Fazit

Der geplante Festivalbeitrag im jüdischen Elternheim Köln – rund um die Frage „Kann man durch Demenz seine jüdische Identität vergessen?“ – war ein ambitionierter, aber kontroverser Versuch, die Schnittmenge von Kultur, Religion und Demenz auszuloten. Die gründliche Analyse zeigt, warum dieser Entwurf so anfällig für Widerstände war: Er berührte grundlegende Fragen von Identität und Würde, traf auf historische Sensibilitäten und erforderte ein Vertrauen, das in der Kürze der Zeit nicht ausreichend aufgebaut werden konnte.

Für die Gestaltung von kulturellen Angeboten mit Menschen mit Demenz bedeutet das auch hier: Man sollte behutsam an das anknüpfen, was noch da ist – vertraute Lieder, Rituale, Sprache – statt vorrangig zu thematisieren, was verloren geht. Kulturelle Teilhabe kann gerade darin bestehen, vorhandene Ressourcen (z.B. das emotionale Gedächtnis für die eigene Tradition) zu nutzen und zu stärken . Der gescheiterte Entwurf illustriert dies.

Abschließend kann man festhalten: Die Frage, ob jemand vergisst, Jude (oder Christ, Muslim etc.) zu sein, ist keine rein akademische – sie rührt an Ängste und Selbstverständnisse. In Zukunft werden solche Fragen dennoch gestellt werden müssen, denn immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund oder verschiedener Religionen kommen in Pflege und könnten von Demenz betroffen sein.

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