Menschliche Intelligenz ohne Körper? – Ein Blick auf KI, Identität und Demenz

Katherine Hayles, eine amerikanische Wissenschaftlerin, hielt an der Uni Köln einen Vortrag, in dem es um Grenzen künstlicher Intelligenz ging („How We Became Posthuman“, 1999). Ich wurde darauf erst durch einen kurzen Bericht von Thomas Thiel im Feuilleton der FAZ (vom 16.05.) aufmerksam. In der Folge befragte ich ‚meine‘ KI nach dem Werk der feministischen Theoretikerin, das zentral um den Begriff der Verkörperung (Embodiment) kreist. Der Begriff meint, dass Körper und Geist untrennbar miteinander verbunden sind. Also sei es nicht möglich, Bewusstsein und Identität auch ohne menschliche Verkörperung ganz an eine Künstliche Intelligenz zu übertragen. Ich erweiterte meine Abfrage sodann um das Stichwort ‚Demenz‘ und im weiteren dann um teilhabe-orientierte Führungen in Museen. – Die folgenden Überlegungen – die auch geprägt sind, durch die vielfach geäußerte Skepsis vieler Menschen gegenüber der KI – ergaben sich daraus.


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Alter Mann mit Erinnerungen an ein gelebtes Leben / Quelle: ChatGPT, erstellt auf der Basis figurierter Abfrage

Die Natur- und Geisteswissenschaftlerin Katherine N. Hayles anlysiert in ihrem Werk, wie sich unser Blick auf Menschen allmählich verändert: weg von uns als autonomer, vernunftbegabter und bewusster Einheit hin zu einem biologischen und technischer Informationssystem. Hayles beschreibt eine kulturelle und wissenschaftliche Tendenz, den Menschen zunehmend als reines Informationssystem zu verstehen – als eine Einheit, deren Bewusstsein letztlich nur „Code“ ist, der unabhängig vom Körper gespeichert, übertragen oder gar ‚verbessert‘ werden kann. Sie nennt das ein posthumanes Menschenbild, in dem der Körper weitgehend ausgeblendet wird: die „verkörperte Subjektivität“ droht verloren zu gehen.

Als Historiker ist mir damit noch einmal deutlicher geworden, dass die eigene Identität nicht nur auf Geist, Bewusstsein, Erinnerung beruht sondern auch auf einem ‚historisch‘ gewachsenen Körper – der auch das Gehirn einschließt. Beides sei nicht trennbar. Hayles prägte den Begriff des Embodiments.

Ich fügte sodann in meine Abfrage das mir in meiner Arbeit vertraute Krankheitsbild von Demenz ein: Dazu gehört u.a., dass Menschen mit Demenz oft die Fähigkeit zur sprachlichen Abstraktion verlieren. Bildhafte, sinnliche und körperlich verankerte Erinnerungen hingegen bleiben oft lange erhalten. Ein Schlüssel dafür kann eine Beziehung von starken Emotionen zu solchen Erinnerungen sein.

Dementielle Erkrankungen – insbesondere Alzheimer – zeigen auf dramatische Weise, dass Bewusstsein, Erinnerung und Identität nicht einfach abstrahierbare Informationsprozesse sind, sondern tief im biologischen Substrat des Gehirns verankert. Der fortschreitende Verlust kognitiver Fähigkeiten führt nicht nur zu einem Informationsverlust, sondern zu einem Identitätszerfall, der körperlich erfahrbar ist.

Hier offenbart sich die Grenze des posthumanen Menschenbildes: Wenn Bewusstsein tatsächlich nur als Information zu verstehen wäre, müsste es unabhängig vom Zustand des Körpers weiterexistieren können. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Der Zerfall neuronaler Strukturen zerstört das Gedächtnis, das Selbstbild und das emotionale Erleben – also genau das, was sowohl Humanisten als auch Posthumanisten als „menschlich“ definieren.

Scheinbarer Widerspruch: Körper vs. Technologie  

Hayles selbst stellt nicht Technologie per se infrage, sondern die Vorstellung, dass Technik das verkörperte Menschsein „ersetzen“ kann. Das heißt, bei den Schulungen von (de)mentia+art zu „KI, Kultur und Teilhabe für Menschen mit Demenz“ muss deutlich werden, das der Einsatz von KI nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug einzusetzen ist, um körpergebundene, erinnerungsgestützte Erfahrungen zu aktivieren und zugänglich zu machen. Die KI wird sodann zielgerichtet eingesetzt, um Geschichte und Identität anzusprechen und zu stärken. Voraussetzung dafür sind im Vorfeld genau figurierte Abfragen, die die einzelnen Aspekte umreißen.  

Teilhabeorientierte Vermittlung

Das Format, in das diese Inhalte – nach Prüfung – eingehen können, ist die von (de)mentia+art entwickelte und seit Jahren erprobte Teilhabeorientierte Vermittlung für Menschen mit (und ohne) kognitive oder psychische Erkrankungen. Diese Vermittlung erweist sich damit gerade in diesem Kontext als sinnvolles und ethisch begründbares Angebot für den Einsatz von KI. Für die Vermittlerin/den Vermittler wird sie im Vorfeld zu einem Tool, einem Resonanzraum, indem einerseits museumspraktische und sinnliche Aspekte (für ein oder mehrere Kunstwerke) entwickelt werden können. Andererseits kann die KI jedoch auch – mittels genau figurierter Abfragen – Vorschläge machen, wie Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen auf der Basis eigener Ressourcen an einem „Entdecken“ eines Kunstwerks beteiligt werden können. Die Auswahl der Fragen und Aspekte sowie die Lenkung des gemeinsames Gesprächs im Museum, die persönliche Ansprache bleibt dem Guide vorbehalten. Die KI wird nicht ersatzweise zu einem Subjekt.

Vermittlung als Gestaltung menschlicher Beziehungen – Embodiment ungeachtet einer Demenz

Die Verkörperung menschlichen Bewusstseins ist für Hayles nicht nur theoretisch, sondern auch ethisch entscheidend. Wer den Menschen als reines Informationssystem begreift, läuft Gefahr, Erkrankte wie Menschen mit Demenz zu entpersonalisieren – sie als defekte Maschinen zu sehen, deren Datenverarbeitung gestört ist. Hayles’ Theorie insistiert dagegen auf der Anerkennung körperlicher, verletzlicher Subjektivität. (der Blick auf den englischen Pflegewissenschaftler Tom Kitwood)

Gerade bei Demenz zeigt sich, dass der Mensch nicht trotz, sondern wegen seiner Körperlichkeit eine vollständige Person bleibt – auch dann, wenn Erinnerung, Sprache oder Orientierung verloren gehen. Eine humane Ethik muss den verkörperten Menschen ernst nehmen, nicht nur das funktionsfähige System.

Technologie und Verantwortung

Foto: Wallraf Museum_ 19. Jh. / Führung für Menschen mit + ohne Demenz / St. Bruno, Köln

Wie schon bisher geht es bei unserer Teilhabeorientierten Vermittlung um die Gestaltung menschlicher Beziehungen und Zugänge. Eine KI wird dabei als ein möglicher Katalysator für Teilhabe eingesetzt. – In strukturierter Form zeigen wir das für KollegInnen in Museen und Kultur oder auch in Pflege und Betreuung, die inklusive Angebote planen und anbieten wollen.  

Identität als Prozess

Teilhabeorientierte Vermittlung gibt diesen veränderten Identitätsformen Raum für Ausdruck jenseits kognitiver – oder gesellschaftlicher – Normen. Eine klug eingesetzte Technologie unterstützt uns dabei, um verkörperte Erinnerung, historische Lebensspuren und ästhetische Resonanzräume leichter zugänglich zu machen – gerade dort, wo Sprache und Kontrolle verloren gehen. Dabei bleibt das Bewusstsein untrennbar mit Körper, Umwelt und Geschichte verbunden.

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