Kultur kann ein Freudenbringer sein! (de)mentia+art möchte mit ein paar Beispielen Lust darauf machen, es mit kultureller Teilhabe erstmals oder wiederholt zu versuchen: für sich selbst, für Ihre zu betreuenden Gäste, Ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Das folgende Bild begegnet uns hier anlässlich des 50. Todestages von Pablo Picasso am 8. April 1973. Der Text geht auf eine Führung im Museum Ludwig zurück, für eine relativ große Gruppe von Menschen mit und ohne Demenz aus dem Clarenbachwerk. Für das Foto danke ich Gabriele Sauer.
Viele Besucher*innen des Museum Ludwig empfinden das große Bild auf den ersten Blick als Picasso-typisch „chaotisch“. Wenn man jedoch mit einer Gruppe von Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen etwas verweilt und die individuellen „Entdeckungen“ Stück für Stück zusammenträgt, ordnet sich das Chaos und es wird sogar nachvollziehbar, warum Picasso diese Frau s o gemalt hat.
Mit allen Lebensaltern malen
Die Frau liegt nackt auf einer Art Sofa, der Hintergrund könnte ein grünblau-milchiger Himmel sein. Der Fußboden ist gelblich, vielleicht ein Strohteppich. Und wenn wir nach dem Standort fragen, so kommt uns weniger ein Wohnzimmer als eine Terrasse in den Sinn, etwa in Südfrankreich.
Dass es eine Frau zeigt, erkennen wir an einer deutlich sichtbaren Brust, die dem Betrachter zugewandt ist. Die zweite Rundung daneben ist keine Brust, sondern nur das Ende einer Art von Nackenrolle. Der Kopf dieser Frau ist ungewöhnlich groß, geradezu übermächtig, ihr reiches Haar zum Teil geflochten. Ist die Frau eher zurückhaltend oder ist sie selbstbewusst? Die Frage erübrigt sich.
Ungewöhnlich sind auch die beiden unterschiedlichen Augen: sie liegen auf nur einer Gesichtshälfte. Das große schwarze Auge schaut uns offenbar an, das kleinere beäugt jedoch den Vogel, der gerade auf der einladend ausgestreckten rechten Hand der Frau gelandet zu sein scheint… Gesicht und Körper der Frau drücken Erwartung, ja Freude aus. Warum? Was hat es mit diesem Vogel auf sich…?
“Bilder und ihre Geheimnisse gemeinsam entdecken”.
Wir können uns auf eine Taube verständigen. Warum ist sie zu der Frau geflogen? Ist es Zufall? Oder weil sie ihre Hand einladend ausgestreckt hat? Die ältere Generation kennt noch die Taubenzucht. In ländlichen Regionen. Im Ruhrgebiet. Tauben haben Nachrichten übermittelt. Schnell und diskret. Auf was für eine Nachricht mag diese Frau gewartet haben? … Die eines Liebsten … dass er – bald, sehr bald – kommen werde…?
Schauen wir wieder auf das Bild: Die Körpersprache, die Picasso uns übermittelt, deutet in diese Richtung. Der Körper der Frau ist anatomisch verformt: Brust und Po sind zugleich zu sehen, auch Füße und Beine sind verdreht und ebenso wie Arme und Hände nun offenbar reflexartig mit Federn bewachsen: Die Botschaft der Taube verleiht Flügel!
Es galt also, die Erwartung, das Gefühl einer beglückenden Liebe darzustellen, die – wir erinnern uns an ferne Jugendzeiten – buchstäblich den ganzen Körper ergreift und in heillose Verwirrung stürzt. Wie macht Picasso das? Er nutzt ganz souverän die Formensprache des Kubismus. Er selbst hatte sie 60 Jahre zuvor erfunden. Nicht weniger als die Auflösung eines „naturalistischen“ (menschlichen) Körpers, mit dem Ziel die Einzelteile neu zusammenzusetzen, um zu einer perspektivisch vielfältigeren Darstellung von Realität zu kommen. Eine Frau, deren Körper in Erwartung ihres Liebsten ein wenig verrückt spielt vor Glück…
Es ist der männliche Blick, der Picasso durch alle Lebensalter hindurch begleitet. Jetzt ist er fast 90, als er das Bild malt. Allerdings wissen wir auch um die große Bedeutung von Tauben für den Maler, der sie schon im Alter von 4 Jahren malte. Wir wissen auch von einem Foto, das eine Terrasse zeigt, in der Villa La Californie im Süden Frankreichs, mit einem Taubenschlag im Hintergrund. Kindheit, junger und gereifter Mann. Alter Mann, bis in die Nähe des Todes.
Wenn Sie nun neugierig geworden sind und Lust haben auf mehr Einblicke in die große Sammlung von Picassos im Museum Ludwig und auch Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen kulturelle Teilhabe ermöglichen wollen, wäre eine Führung für Sie genau das Richtige: vor Ort. Oder auch digital in Ihrer Einrichtung, überall!
Mehr Bilder, mehr Führungen, mehr Museen für Menschen mit und ohne Demenz sowie für Menschen mit und ohne psychische Beeinträchtigungen finden Sie unter “Kulturtermine Köln”. Wenn da nichts Passendes für Sie ist, vereinbaren Sie doch einfach Ihren Wunschtermin mit uns:
Jochen Schmauck-Langer 0157-88345881 // schmauck.langer@live.de
Kultur als Freudenbringer (1): H i e r
Kultur als Freudenbringer (2): H i e r
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